In den letzten beiden Blogposts haben wir beschrieben, warum die psychosoziale Gesundheit in der Arbeitsmedizin genau jetzt eine so große Rolle spielt und welche Personen demografisch besonders gefährdet sind. Wir konnten darstellen, dass die demografische Gefährdung häufig mit den folgenden Faktoren zusammenhängt: (Weibliches) Geschlecht, Alter und Herkunft.
In diesem Blogpost möchte ich Ihnen nun einige der theoretischen Hintergründe zum Thema psychische Gesundheit erläutern. Außerdem ist es mir wichtig, Ihnen zu erklären, wie wir die psychische Gesundheit in der Arbeitsmedizin einordnen. Daraus leitet sich nämlich ab, wie Sie in Ihrem Betrieb mit dem Thema psychischer Belastungen umgehen können und was zu tun ist, falls Sie Gefährdungen vermuten. Sprich: Sie erhalten in diesem Post eine Einweisung in die theoretische Basis des Themas psychische Gesundheit in der arbeitsmedizinischen Praxis. So wird dieses komplexe Thema hoffentlich greifbar für Sie.
Was ist psychische Gesundheit?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit in Ihrer Satzung so:
„ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.“
Diese Definition beinhaltet also auch die psychische und soziale Gesundheit, sowie den Begriff des Wohlbefindens. Somit lässt sich sagen, dass das Wohlbefinden einer Person ein essenzieller Bestandteil ihrer Gesundheit ist: Seelisches, psychisches und körperliches Wohlbefinden.
Psychische Gesundheit definiert die WHO als:
„ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann.“
In dieser Definition können wir drei wichtige Elemente psychischer Gesundheit wiederfinden: Handlungsfähigkeit, Belastbarkeit und Produktivität. Zudem befähigt gute psychische Gesundheit laut der Definition zu sozialer Teilhabe, sowie Leistungsfähigkeit. Im Prinzip ist dies doch der Zustand eines guten Angestellten – eine handlungsfähige, belastbare und produktive Person, die befähigt ist, sich sozial zu beteiligen und etwas beizutragen. Jemand der anpacken kann. Jemand, der sich wohlfühlt und dadurch aus dem Vollen schöpfen kann.
Arbeit ist wichtig für psychische Gesundheit
Laut der WHO und anderer Experten, zum Beispiel dem Aktionsbündnis für seelische Gesundheit, ist Arbeit prinzipiell sehr wichtig für unsere psychische Gesundheit. Arbeit schafft Struktur, Sinn, das Gefühl, gebraucht zu werden. Hier werden soziale Kontakte geknüpft und gepflegt. Wer arbeitet, hat eine Aufgabe in der Gesellschaft. Arbeit ist somit grundlegend förderlich für die Gesundheit – wenn wir sie auch gesundheitsfördernd gestalten.
Insbesondere für gefährdete Menschen, wie wir sie unter anderem in unserem letzten Blogpost beschrieben haben, kann der Arbeitsplatz aber auch schnell zur Gesundheitsfalle werden. Daher ist es essenziell, dass sich Arbeitgeber der Gesundheitsförderung verpflichten und sich regelmäßig weiterbilden, um gefährdete Angestellte durch effektive Prävention vor psychischen Belastungen bei der Arbeit zu schützen.
Psychische Belastungen bei der Arbeit
In den letzten Jahren beobachten wir einen Anstieg psychischer Erkrankungen in unserer Gesellschaft. Im Bezug auf den Arbeitsplatz ist hier oft die Rede von Burnout, Depressionen und Angststörungen. In Deutschland fühlen sich über 50% der Arbeitnehmer auf Grund psychischer Belastungen in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt und in den letzten 15 Jahren stieg der Anteil an Depressionen und Angststörungen um 80% – erschreckende Statistiken!
Allgemein ist es wichtig zu betonen, dass psychische Belastungen immer ein Bestandteil der Arbeit sind. Grundlegend können sie sich auch positiv auswirken, zum Beispiel, indem sie zu Trainingseffekten oder einer erhöhten Motivation führen. Hohe Verantwortung beispielsweise birgt natürlich eine gewisse Belastung, aber kann auch dafür sorgen, dass sich die betreffende Person besonders wertgeschätzt und bedeutungsvoll für das Unternehmen fühlt. Es kann durch psychische Belastungen aber auch zu negativen Effekten kommen und im schlimmsten Falle zu Erkrankungen. Auch beobachten wir bei psychisch überbelasteten Menschen eine Tendenz zu riskantem Verhalten und Substanzmissbrauch, zum Beispiel erhöhtem Alkoholkonsum.
Psychosoziale Fehlbelastungen können vielfältige Ursachen haben, die manchmal sehr schwer greifbar sind. Beispiele sind Mobbing oder andere Formen anhaltender persönlicher Konflikte, Schichtarbeit, ständiger Leistungsdruck, Überlastung, Präsentismus trotz Krankheit und die Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. All dies sind Elemente sogenannter prekärer Arbeitsbedingungen: Problematische Faktoren, die in der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entstehen und ein Risiko für die Mitarbeitergesundheit darstellen – insbesondere auch die psychosoziale Gesundheit. (Zum Thema prekäre Arbeit schreibe ich derzeit meine Masterarbeit in Medizin unter Supervision von Frau Prof. Dr. Ute Bültmann von der Universität Groningen.)
Psychische Gesundheit im Arbeitsschutz
In der Arbeitsmedizin nutzen wir das sogenannte Belastungs-Beanspruchungs-Modell, um die arbeitsbedingten psychischen Belastungen richtig einschätzen zu können. Dieses Modell setzt die Einflüsse aus der Arbeit mit dem privaten Umfeld des Mitarbeiters in Beziehung. Hier wird unter anderem auch zwischen arbeitsbedingten psychischen Belastungen und arbeitsbedingter psychischer Beanspruchung unterschieden. Arbeitsbedingte Belastungen sind emotionale, kognitive oder verhaltensmäßige Herausforderungen aus Arbeitsinhalt, Arbeitsumgebung Arbeitsorganisation. Die arbeitsbedingte psychische Beanspruchung meint die Gesamtheit emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und zentralnervös vermittelter Reaktionen auf die Arbeit – also die Reaktion des Mitarbeiters auf die Belastung. Fehlbeanspruchungen meinen hierbei solche Reaktionen, die die Gesundheit kurz- oder langfristig signifikant beeinträchtigen. Wie bereits erwähnt, können Beanspruchungen auch positiv erlebt werden. Messen lässt sich die Beanspruchung letztlich nur durch Beobachtung und Rücksprache mit den Mitarbeitern bezüglich ihrem Erleben, Verhalten und ihrer körperlichen Verfassung.
Im Arbeitsschutz sind wir darauf fokussiert, die negativen Effekte psychischer Belastungen vorzubeugen, bevor sie entstehen oder sie so zeitig zu beseitigen, dass sie die Mitarbeitergesundheit möglichst nicht beeinträchtigen. Dazu betrachten wir nicht nur einzelne Angestellte, sondern auch die Strukturen im Unternehmen. Beispiele hierfür sind die vorgegebenen Arbeitszeiten, die Mitarbeiterführung und die Unternehmenskultur. Das wichtigste Stichwort ist hier die Prävention durch Maßnahmen des Gesundheitsmanagements und der betrieblichen Gesundheitsförderung unter Einbeziehung der Angestellten und ihrer Vertretungen im Unternehmen.
Rechtlichen Grundlagen zur Arbeitsmedizin & psychischer Gesundheit
Auch gesetzlich ist die psychische Gesundheit in allen wichtigen Rechtsgrundlagen der Arbeitsmedizin mit verankert. Bereits im Sozialgesetzbuch VII ist ein erweiterter Präventionsauftrag an die Unfallversicherungsträger enthalten, der diese auch zur Schulung und Beratung von Unternehmen beinhaltet. Auch die Arbeitsmediziner der gesetzlichen Unfallversicherung sollen Unternehmer und versicherte zu arbeitsbedingten Gefahren für die psychische Gesundheit beraten.
Auch im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), einem der zentralsten Gesetze für den Arbeitsschutz, ist die psychische Gesundheit wiederzufinden. Nach § 3 Abs. 1 und § 4 ArbSchG sind Arbeitgeber ganzheitlich zum Arbeitsschutz verpflichtet. Genauer sind sie angehalten, Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen unter Berücksichtigung von Umständen, die einen Einfluss auf die Sicherheit und Gesundheit ihrer Angestellten bei der Arbeit haben. Weiter sind Arbeitgeber verpflichtet, bei der Planung von Maßnahmen die vorhandene Technik, Arbeitsorganisation, soziale Strukturen und Umwelteinflüsse sachgerecht zu verknüpfen. Daraus ergibt sich also eine Verpflichtung auch zum Schutz der psychosozialen Gesundheit der Angestellten.
Besonders interessant für die Arbeitsmedizin ist das Arbeitssicherheitsgesetz §3: Hier ist geregelt, dass Betriebsärzte den Arbeitgeber zu arbeitspsychologischen Fragen beraten müssen. Zudem ist es die Aufgabe der Betriebsärzte, die Arbeitsbedingungen zu analysieren und daraus die Ursache arbeitsbedingter Erkrankungen zu beurteilen. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse empfehlen die Betriebsärzte dann Maßnahmen im Unternehmen, um diese Erkrankungen zukünftig zu vermeiden. Zudem sollen die Betriebsärzte alle Beschäftigten über potenzielle Gesundheitsgefahren belehren. Die Beschäftigten erfahren auch, welche Maßnahmen und Einrichtungen es zur Vermeidung dieser Gefahren gibt.
Auch in der Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV), sowie der Bildschirmarbeitsplatzverordnung findet sich der gesetzliche Auftrag für die Betriebsärzte. Sie sind verpflichtet, psychische Belastungen zu beurteilen und bei der Prävention dieser zu unterstützen.
Wir sind also von allen Seiten dazu angehalten, Sie bei dieser Herausforderung zu unterstützen – eine Verantwortung, der wir sehr gern nachkommen!
Arbeitsmedizinische Aufarbeitung psychischer Belastungen
In der Arbeitsmedizin ist es unsere Aufgabe, sogenannte kritische Konstellationen am Arbeitsplatz aufzudecken. Dies geschieht oft im Zusammenhang mit Wunschvorsorgen, im Zuge derer Angestellte den Kontakt mit uns suchen. Eine andere Gelegenheit ist die Ursachenfindung für besondere Ereignisse. Das können zum Beispiel vermehrte Unfälle in einer Abteilung, häufige Krankheit eines Mitarbeiters, oder regelmäßige Konflikte in einer Arbeitsgruppe sein. Auf Basis der Ereignisse wird unter Berücksichtigung des Belastungs-Beanspruchungsmodells festgestellt, ob es sich um ein Einzelproblem im Bezug auf eine Person handelt, oder ob es eine strukturelle Ursache im Unternehmen gibt. Wir analysieren hierzu sowohl die Belastungen und Beanspruchungen des Einzelnen, als auch die des Arbeitsbereiches und des Unternehmens, falls notwendig. Hierzu können Mitarbeitergespräche, Gespräche mit den Führungspersonen sowie ausführlichere Analysen notwendig sein. So erhalten wir ein gutes Bild der Situation im Unternehmen.
Dies geschieht in der Regel nicht ausschließlich im Rahmen einer „psychischen Gefährdungsbeurteilung“, aus verschiedenen Gründen. Dazu ist das Thema der psychischen Gesundheit viel zu komplex. Es steht in Wechselwirkung mit zu vielen anderen Faktoren sowie anderen Gefährdungen im Unternehmen. Die Gefährdungsbeurteilung kann also eher als Orientierung vor einer vertiefenden Analyse gesehen werden. Dazu gibt es andere schriftliche Verfahren, zum Beispiel das Instrument zur Stressbezogenen Arbeitsanalyse oder den Trierer Inventar zum Chronischen Stress. Auch eine Betriebsbegehung und direkte Befragung von Mitarbeitern kann sehr hilfreich sein. Hier gibt es keine Patentlösung: Psychische Belastungen haben eine große subjektive und individuelle Komponente. Daher ist es uns sehr wichtig, den richtigen Fahrplan gemeinsam mit Ihnen zu entwickeln. Wir beziehen Sie dabei in alle Schritte mit ein, um die richtige Vorgehensweise für Ihren Betrieb zu erarbeiten.
Auf die Analyse aufbauend beraten wir Sie zu den passenden Maßnahmen. Diese können kurzfristig oder langfristig sein, je nach der Gefährdung und den Bedürfnissen Ihrer Mitarbeiter. Kurzfristige Maßnahmen könnten zum Beispiel unterstützende Arbeitsmittel, eine Weiterbildung oder die Senkung des Lärmpegels sein. Weitergehende, betriebszentrierte Maßnahmen orientieren sich dann am Unternehmen insgesamt. Hier sollte eine ausführlichere Befragung stattfinden, um daraus gezielt Lösungsansätze abzuleiten.
Wie kann ich psychische Belastungen in meinem Betrieb vorbeugen, erkennen und aufarbeiten?
Dazu folgen in den kommenden Wochen weitere Blogeinträge – seien Sie gespannt! Sollten Sie bis dahin Fragen oder Anmerkungen haben, freuen wir uns auf Ihre Anfrage.
Ihre
Marlene A. Magerl